Lass uns mal zurück gehen in die 70er Jahre. Die Anzahl der Marken war im Vergleich zu heute fast lächerlich. „Wir kaufen Markenprodukte“ war eine damals durchaus übliche Aussage und meinte die wenigen Produkte, die man aus der Werbung kennt. Aus Markensicht war dies durchaus eine spannende Zeit, denn es gab einen Paradigmenwechsel. Die Werbung änderte sich nämlich erstmals von der reinen Informationsvermittlung der 50er Jahre („es gibt dieses Produkt und es kann folgendes“) zur Nutzenkommunikation („Das bringt dir dieses Produkt“).
In den 80ern und 90ern wurde dieser Nutzen dann mehr und mehr emotionalisiert und Marken wurden darüber hinaus zum Statussymbol. Wer den Mercedes vor der Tür hatte, der hatte es geschafft, dachte man damals. Und wer diese Zigarettenmarke rauchte war cool, und wer die Visa zückte lebte den Traum. Auch die Werbung änderte sich, Traumwelten á la Ferrero gaukelten Erfüllung des kapitalistischen Status-Traums durch Konsum vor. Nicht nur Status, auch Freshness, refreshing Taste und sonstige Benefits bestimmten die Werbung von Wrigley’s, Coca Cola und Langnese. Und wer trotz des vielen Spülens schöne Hände haben wollte, der badete Sie in Palmoliv.
Auch in den 2000ern war von der Markenvielfalt der heutigen Zeit nichts zu spüren, da zwei wesentliche Treiber fehlten: Das Internet und die Globalisierung. Die Markenstrategie und Marketingstrategie stagnierten im Grunde. Bis Apple mal eben die Welt veränderte.... Ab 2007 begann die Marketing-Revolution, denn Apple stellte das erste iPhone vor. Marken wurden ab diesem Zeitpunkt jedes Jahr immer digitaler erzählt und Technologie und Performance Marketing stellten den Wert von Markenstrategie sogar zeitweise in Frage. Mit dem Siegeszug des digitalen Marketing verloren klassische Reichweitenmedien immer mehr an Boden. Die breite Verfügbarkeit von UMTS führten zudem dazu, dass Videoformate immer wichtiger wurden - Marken konnten nun audiovisuell erzählt werden wie nie zuvor, selbst wenn dahinter keine riesigen Konzerne stehen. Der e-Commerce machte D2C Businesses auch über Landesgrenzen erfolgreich, Plattformen wie Amazon oder eBay taten ihr übriges, vor allem da sie die globale Logistik auf ein ganz neues Level brachten.
Die Anzahl der Marken explodierte ins Unermessliche.
In dieser unübersichtlichen Vielfalt stand der nächste Paradigmenwechsel an. Nach „Feature“ und „Benefit“ gewinnen heute Marken, die eine hervorragende kundenzentrierte „Brand Experience“ liefern und es schaffen dadurch die Kunden zu binden. Basierend auf der nun verfügbaren Datenmenge und Automatisierungsframeworks optimieren wir die Marketinglogistik.
„Wir liefern das was du brauchst, wann du es brauchst, wie du es brauchst in einer Weise, die dir gefällt. Weil wir dich lieber Kunde kennen und wertschätzen. Und weil du uns ganz viel Daten über dich gibst.“
Das zu leisten ist nicht einfach. Dahinter steht ganz viel Arbeit und auch teure und komplexe Technologie, wie die von Adobe im Spot oben – aber es ist auch noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Denn mittlerweile ist der Strategie-Zug schon wieder weitergefahren. So leid es mir tut, aber der alte 30 Jahre Rhythmus für Paradigmenwechsel gilt leider nicht mehr. In der heutigen Welt ist alles so schnell kopierbar und durch Technologie professionalisierbar, dass wir konstant Marken und Marketing weiter entwickeln müssen. Auch die perfekte Marketinglogistik ist leider bald kein Vorteil mehr. Denn die Wettbewerber nutzen ebenfalls Technologie und werden zukünftig zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, im richtigen Format zur Stelle sein. Daher ist „Experience“ nur ein Zwischenschritt - bald reden wir über „Brand Resonance“.
In einer Welt, in der Marken nicht mehr nur Status ausdrücken und Qualitäten durch technologischen Fortschritt immer weiter standardisiert werden, bleibt die Frage auf welcher Basis wir zukünftig Kaufentscheidungen treffen? In einer Welt, in der es Millionen Marken gibt, welche braucht es und welche sind zukünftig überflüssig? Laut einer Studie von Havas mit 350.000 befragten Konsumenten weltweit, würden 77% aller Marken nicht vermisst werden, sollte es sie morgen einfach nicht mehr geben. Marken mit hoher Brand Resonanz (meaningful brands) weisen dagegen eine um 18% höhere Kaufbereitschaft auf und eine um 31% höhere Weiterempfehlungsbereitschaft.
(Quelle: https://www.meaningful-brands.com/en/our-study)
Traditionelle Institutionen unserer Kultur verlieren seit Jahren an Bedeutung. Ich will hier nicht tiefer darauf eingehen, doch ein Punkt ist wichtig: Diese Institutionen dienten schon immer zur Selbstdefinition: Bin ich ein guter Christ, eine gute Mutter, ein guter Vater? Achtete ich Traditionen? Welche Werte gibt mir meine Dorfgemeinschaft vor? Heute ist Selbstdefinition viel komplexer geworden, unter anderem als Resultat der Megatrends Urbanisierung, Individualisierung und durch besagten Wegfall der traditionellen kulturellen Institutionen.
Es bilden sich heute sogenannte „Tribes“, wie beispielsweise der der „Veganer“ oder der „Crossfitter“. Diese Tribes wurden zuerst 1996 durch Michel Maffesoli in seinem Buch: „The Time of the Tribe: The decline of individualism in mass society“ beschrieben. Der Begriff beschreibt Menschen, die sich über gewisse Werte und Haltungen definieren und gleichgesinnte finden in den Medien, die sie konsumieren, in Personen deren Anhänger sie sind und in Marken, die sie kaufen. 1996 noch Zukunftsmusik, liest sich diese Definition heute wie eine Blaupause für die moderne Social Media Plattform. Wem der Begriff "Tribes" zu sperrig ist, darf übrigens gerne Audience sagen..klingt zeitgemäßer.
Es entstehen in Folge eigene kulturelle Narrative innerhalb dieser Audiences. Man denke da an Aussagen wie „linksgrün versifft“, „Gutmensch“ oder ähnliches, was im politischen Diskurs mittlerweile ein eigenes Narrativ der Rechten bildet. Marken, die solche Narrative bedienen und auch in der Haltung eine hohe Übereinstimmung mit den Zielgruppen haben, schaffen eine große kulturelle Resonanz und werden so zur „meaningful brand“. Diese Marken, werden damit Teil der Selbstdefinition dieser Audience und auch Teil der Selbstdarstellung dieser Menschen.
Erste Marken beginnen heute damit diese Narrative zu bedienen, wenn es eine Übereinstimmung in Sachen Werte und Haltung gibt. Ein gutes Beispiel war die Kampagne von Katjes für einen veganen Schokoriegel. Sie bediente sich der Narrative innerhalb der Gruppe der Veganer und erzielte damit innerhalb der Zielgruppe beeindruckende Erfolge. Auch andere Marken gehen vermehrt in diese Richtung. Sie suchen bewusst Resonanz für eigene Werte und eigene Haltung bei Individuen ihrer Zielgruppe. Man denke an Nike und ihre Haltung gegen Rassismus und Polizeigewalt.
Die erste Herausforderung für Marken ist es überhaupt ihre eigene Identität und Haltung zu klären. Darüber hinaus müssen sich Marken zukünftig wohl von der alteingesessenen demografischen Zielgruppenlogik trennen. Egal ob Lisa (43), Zahnarztassistentin, oder Frank (22) Student, Mehmet (56) Unternehmer.. alle können der Audience "Veganer" angehören. Die Frage, die sich Marken nun stellen müssen, lautet: Welche "Tribes" gibt es in meiner Zielgruppe und welche Narrative gibt es dort? Das müssen natürlich nicht immer gesellschaftlich relevante Bewegungen sein: Gibt es eventuell in meinem Markt die hochinvolvierten, oder die Progressiven, die Traditionalisten, die Nostalgiker, die Rationalisten? Wie segmentiere ich meinen Markt, welche Messpunkte kann ich nutzen, wie bekomme ich Daten über diese Audiences. Und wie kann ich sie im (digitalen) Marketing als Zielgruppen markieren und aufbauen? Diese spannenden strategischen Fragen lohnt es sich zu stellen